1878, Das Sozialistengesetz wird erlassen

Man sieht, schon früh wurde erkannt, dass die Einheit der Arbeiterklasse Vorraussetzung für einen siegreichen Kampf ist.

August Bebel, „Aus meinem Leben“, Berlin 1988

1878

Mit Hilfe des Sozialistengesetzes wollte die Bourgeoisie und das reaktionäre preußische Junkertum die aufstrebende Arbeiterklasse bekämpfen.

„….Die Eröffnung des neugewählten Reichstags wurde im Weißen Saale des königlichen Schlosses vollzogen. …..

…..Die Vorlage hatte vor ihrer Vorgängerin vom Mai voraus, daß sie weit gründlicher als diese durchgearbeitet war. Dagegen war ihre Begründung eine äußerst dürftige. Die verbündeten Regierungen, hieß es unter anderem in ihr, seien durch die Attentate und die vielen denselben folgenden Majestätsbeleidigungen davon überzeugt worden, daß in weiten Kreisen eine jedes sittliche und rechtliche Gebot verachtende Gesinnung herrsche, die Staat und Gesellschaft mit großen Gefahren bedrohe. Es bedürfe also gesetzlicher Vorschriften, die sich gegen die sozialdemokratische Bewegung als die Trägerin jener Gefahren richteten. ……

…..Jetzt gelte es, den Kaiser zu schützen. ,,Daß bei der Gelegenheit vielleicht einige Opfer des Meuchelmords unter uns noch fallen werden, das ist ja sehr wohl möglich; aber jeder, dem das geschehen könnte, mag eingedenk sein, daß er zum Nutzen, zum großen Nutzen seines Vaterlandes auf dem Schlachtfeld der Ehre bleibt.’43801

Die Rechte brach nach diesen Worten in einen Beifallssturm aus, wir protestierten, und ich verlangte das Wort zur Geschäftsordnung, um gegen den Kanzler wegen der uns zugefügten Beleidigungen den Ordnungsruf zu fordern. Aber bereits hatte der Präsident dem alten Feuerbrand der Konservativen, Herrn v. Kleist-Retzow, das Wort erteilt. Dieser wetterte gegen uns mit dem ganzen Fanatismus eines christlich-preußischen orthodoxen Junkers, der für die Vorrechte seiner Klasse kämpft. Unsere ganze Tätigkeit in Presse und Versammlungen falle unter die Vorbereitung zum Hochverrat. Unsere Gesänge seien Schlachtgesänge, unsere ganze Tätigkeit eine Vorbereitung zum Kriege. Wir raubten dem Volke die Religion, was zur Folge habe, daß das Volk schon im Diesseits nicht bloß die gleichen Rechte, sondern auch die gleichen Genüsse fordere.

Er schloß seine Philippika mit einer Klage über die steigende Unzufriedenheit und mangelnde Dankbarkeit und die Verderbtheit großer Massen, die das Christentum gefährde. ….

Die nächsten Wirkungen des Gesetzes

Sobald das Gesetz verkündet und in Kraft getreten war, fielen die Schläge hageldicht. Binnen wenigen Tagen war die gesamte Parteipresse mit Ausnahme des ,,Offenbacher Tageblatts“ und der „Fränkischen Tagespost“ in Nürnberg unterdrückt. Das gleiche Schicksal teilte die Gewerkschaftspresse mit Ausnahme des Organs des Buchdruckerverbandes, des „ Correspondenten“. Auch war der Verband der Buchdrucker, abgesehen von den Hirsch-Dunckerschen Vereinen, die einzige Gewerkschaftsorganisation, die von der Auflösung verschont blieb. Alle übrigen fielen dem Gesetz zum Opfer. Ebenso verfielen der Auflösung die zahlreichen lokalen sozialdemokratischen Arbeitervereine, nicht minder die Bildungs-, Gesangund Turnvereine, an deren Spitze Sozialdemokraten standen und die deshalb für sozialdemokratische Vereine erklärt wurden, in denen, wie die Phrase im Gesetz lautete, ,,sozialdemokratische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise  zutage getreten seien. „

Wer heute diese Phrase liest, wird sich kaum des Kopfschüttelns und wohl auch eines Lächelns enthalten können. Aber damals war es bitterer Ernst mit dieser Phrase. Mit einem Federzug vernichtete die Polizei, was durch viele Jahre unter großer Mühe und Opfern aller Art aufgebaut worden war.

Das Trümmerfeld des Zerstörten wurde erweitert durch die Verbote der nicht periodisch erscheinenden Literatur. Die Reihe der Verbote eröffnete das Berliner Polizeipräsidium. An der Spitze der ersten Leporelloliste von 84 Verboten stand wie zum Hohn Leopold Jacobys „Es werde Licht“. Dem blinden Eifer, zu verbieten, fielen auch eine Anzahl Schriften zum Opfer, die mit Sozialismus nicht das geringste zu tun hatten. So zum Beispiel August Röckels „Sachsens- Erhebung und das Zuchthaus zu Waldheim“ und „Allerlei Gereimtes und Ungereimtes“ von William Spindler. Sogar die Schrift des ehemaligen österreichischen Ministers Professor Schäffle „Die Quintessenz des Socialismus“ wurde verboten, indes wurde das Verbot auf erhobene Beschwerde wieder aufgehoben. …..

„….Die sächsische Regierung habe für gut befunden; über Stadt und Amtshauptmannschaft Leipzig den Kleinen Belagerungszustand zu verhängen weil die öffentliche Sicherheit bedroht sei.

Die bloße Annahme, daß die öffentliche Sicherheit gefährdet sei, genüge, um eine große Anzahl Existenzen ohne Richterspruch von Weib und Kind, Haus und Herd zu vertreiben und sie dem Elend preiszugeben. Mit Ausnahme eines einzigen Falles, der einen bereits aus Berlin Ausgewiesenen betroffen habe, hätten die Leipziger Richter noch keine Gelegenheit gehabt, wegen eines Vergehens wider das Sozlalistengesetz über einen der Ausgewiesenen auch nur eine Stunde Gefängnis oder eine Mark Geldstrafe zu verhängen. ,,Das ist ein Zustand, wie er in keinem zivilisierten Lande der Welt … möglich ist … Grimm und Haß im Herzen, werden die Ausgewiesenen die Heimat, Weib und Kind verlassen; sie sind gezwungen, wenn auch zähneknirschend vor Ingrimm, sich der Macht zu beugen. An euch ist es, für ihre Frauen und Kinder einzutreten, damit diese, abgesehen von dem schweren moralischen Druck, den die Beraubung des Gatten, des Vaters, des Ernährers ihnen bereitet, nicht auch unter dem schwersten materiellen Druck des Elends seufzen …

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