1950, Eisenhüttenkombinat „J.W. Stalin“ und Stalinstadt wird gebaut

ADN-Zentralbild/Sturm 10.11.1952
Von Bundesarchiv, Bild 183-17138-0003 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5340907

Hans Marchwitza: „Roheisen“, Berlin 1955

1950

Als sich 1950 immer klarer abzeichnete, dass im ehemaligen Deutschland langfristig zwei deutsche Staaten existieren werden beschloß die Regierung der DDR ein eigenes großes Stahlwerk zu bauen. Für die Bauarbeiter und die zukünftigen Arbeiter des Betriebes wurde eine eigene Wohnstadt geplant.

Beides sollte an der „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ errichtet werden. Die Oder kann die erforderliche Menge des zum Produktionsprozess benötigtem Wasser zur Verfügung stellen und eignete sich zum Bau des erforderlichen Binnenhafens.

Die Geschichte des Buches beginnt am 18. August 1950 mit dem ersten symbolischen Axthieb zur Realisierung dieses Vorhabens. Es berichtet über die Schwierigkeiten bei diesem riesigen Bau, sowohl durch den kriegsbedingten Mangel an Fachkräften und Material als auch durch die witterungsbedingten Einflüsse. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen in dieser Zeit erscheinen dem Leser plastisch vor Augen.

Nur 13 Monate später wurde der erste Ofen in Betrieb genommen.:

„…..Es ging wieder zum Herbst. Dreizehn Monate fast waren nach dem ersten Beilschlag in dem stillen, märkischen Wald vergangen.

Der erste Hochofen stand mit seinem Trägergerüst und den drei Eisentürmen für die Windzufuhr fertig da. Die Arbeiter hatten sich vor dem mächtigen Panzerbau versammelt und blickten staunend daran empor. Sie dachten kaum darüber nach, daß sie es selber waren, die dieses Wunder vollbracht hatten. Sie hörten andächtig zu, wie der Minister über die Geschichte des Werkes und über die ungeheure Arbeit sprach.

Drei Millionen Quadratmeter Wald waren gerodet, eine Million und zweihunderttausend Kubikmeter Boden bewegt, ein neuer Bahndamm mit einer halben Million Kubikmeter Erde aufgeschüttet und befestigt worden. Über sechs Kilometer Straße, zweihundertdreißig Kilometer Normalspur- und sechzig Kilometer Baugleise hatte man angelegt. Achtzigtausend Kubikmeter Beton waren verarbeitet worden, zwanzigtausend Tonnen Zement, einhunderttausend Tonnen Kies und tausende Tonnen anderen Materials.

Das bedeutete einen Transport von einhundertachtzig Güterzügen zu je fünfzig Waggons.

Vier und eine halbe Million Ziegelsteine und einhundertundzehntausend Quadratmeter Bretter für Verschalungen. Sechstausend Tonnen Betonstahl.

Zur Ausmauerung der ersten Hochofengruppe wurden sechstausendsiebenhundert Tonnen feuerfestes Material verbraucht. Es waren dreizehn und ein halber Kilometer Wasserleitungen aus Rohren bis zu einem Meter Durchmesser im Gewicht von dreieinhalbtausend Tonnen gelegt worden.

Das waren Zahlen und Zahlen, und die Zahlen waren Eisen, waren Erdmassen und Berge von Steinmaterial, waren monatelange Sorgen, Alpdrücke, Schreie, Flüche und ungezählte Schweißtropfen von tausenden Stirnen, diese Zahlen.

Es war ihr Werk.

Dies alles berichtete der große Mann mit seiner starken, eisern tönenden Stimme den still und erstaunt lauschenden Menschen. Das, was sie bisher nie ganz überschaut hatten, erhob sich jetzt wirklich, überwältigend vor ihren Augen – die gemeinsame Kraft.

Mit fiebrigen und übernächtigen Augen und breitbeinig standen die Nieter unter der Menge. Sie hatten bis zur letzten Stunde da oben mit dem Eisen gekämpft. Die Monteure lauschten mit angestrengten Stirnen, müde, die braunen Gesichter faltig vor Erschöpfung, aber ihre Mienen zeigten den Stolz von Menschen, die sich bewußt waren, daß sie das „Unmögliche“ geschafft hatten.

Und da standen die Männer und Frauen, die in den letzten Monaten nur von der eiligen Fertigstellung der Zementsockel und -bunker und von ihren Mauerarbeiten geträumt hatten, und überall lauschten die Mädel und Jungen mit verwunderten, lächelnden Augen. Was? Haben wir das alles getan?

Die Maschinen und die Niethämmer schwiegen während dieser Feierstunde. Abseits ruhte die Brigade aus, die in den letzten Stunden die noch fehlende Rohrleitung für den Wasserabfluß am Hochofen montiert hatte. Man ließ die Müden schlafen.

„Ein schöner Tag“, flüsterte Margret Hoff, die Martha Karges Arm in ihrem hielt. Ihre Augen strahlten. ,, Was die Menschen alles fertiggebracht haben!“

„Es ist auch ein Teil eurer Arbeit“, sagte Willner, der neben ihnen stand. ,,Auch dein Fleiß, Mädel!“ sagte er, zu Margret gewandt, und prüfte ihr Gesicht. Es war nichts mehr von der alten Bitterkeit und Scheu darin zu sehen; der Freimut, das kindliche Staunen machten es schön. Schön waren diese Menschen! Wo ist der Maler, der diese Mienen, diese Augen und diesen Stolz festhalten könnte, dachte der grauhaarige Mann und blickte immerfort die Gesichter ringsum an…….“

Innenhof Wohnkomplex II

Anfang 1950 begann parallel dazu der Aufbau der Wohnstadt. Auch hier lief nicht gleich alles nach Plan. Die Wohnungen im Wohnkomplex I waren noch ziemlich klein, jedoch zur bisherigen Unterbringung in der damaligen Zeit ein gewaltiger Fortschritt.:

„……Sie blickte ihn eine Weile vollends verwirrt an, denn es war zwischen ihnen noch kein Wort von Heirat gesprochen worden. Sie sagte: ,,Wie denkst du dir denn das? Du weißt doch ich habe drei Kinder. Die sind dir doch sicherlich eine Last?“

„Die Kinder sind nur dann eine Last, wenn man mit ihnen in fortwährender Enge leben muß, wie du darin gelebt hast. Es wird ja künftighin anders. Übrigens habe ich auch daran gedacht, daß die Kinder einen Vater brauchen.“

Martha Karge drückte ihm schnell die Hand und zog ihn weiter. Sie schwiegen beide.

An der Wohnstadt, wo die ersten Bauten bereits verputzt und schon zum Teil bezugsfertig waren, blieben sie noch mal stehen und schauten hin.

Willner sagte: ,,Es ist noch ein wenig geeilt worden mit den ersten Häusern, sie werden noch nicht ganz so bequem sein. Auch daran ist der Anfang zu spüren. Aber vielleicht können wir uns später noch etwas vergrößern.“

„Mein Gott, was du redest!“ ereiferte sich Martha. ,,Das sind doch schöne Häuser! Wenn wir hier eine Wohnung bekommen, dann ist es für mich ein Paradies. Wenn ich an die letzten dunklen, herzbeklemmenden Winkelchen denke!…..“

Im Wohnkomplex II wurde dann schon großzügiger gebaut. 1953, nach dem Tod von J.W. Stalin erhielt die neue Stadt den Namen „Stalinstadt“. Die Stadt sollte auch als Beispiel für die modernen Wohnviertel der Arbeiter dienen, die in der Zukunft gebaut werden würden. Heute sind diese Baukomplexe zusammen mit den dazugehörigen Versorgungseinrichtungen, wie Schulen, Kindergärten, Poliklinik und Einkaufsmöglichkeiten ein großes Flächendenkmal. Ein Besuch von „Stalinstadt“ lohnt sich.

Eingangsbereich des Krankenhauses

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