1942, Die Schlacht um Stalingrad

Lage vor dem Angriff der Wehrmacht

Tschuikow, Wassili Iwanowitsch: „Die Schlacht des Jahrhunderts“, Moskau 1975

1942

Tschuikow war der Befehlshaber der 62. Armee, deren Aufgabe die Verteidigung Stalingrads war. Nach dem direktem Angriff auf die Stadt wurden die Verteidiger bis auf einen schmalen, 200 m bis 1000 m breiten Streifen an die Wolga gerdrängt. Dabei mußte die Wehrmacht aber ständig neue Reserven in die Schlacht werfen. Am 18. November endeten die Verteidigungskämpfe:

„.. In diesen Tagen waren beide Seiten aufs äußerste erschöpft…..

Dieser Zustand währte bis zum 19. November. Am Abend des 18. November versammelten sich die Genossen Gurow, Krylow, Posharski, Wainrub und Wassiljew in meinem Unterstand, um über weitere aktive Handlungen der Armee zu beraten. Unsere Kräfte gingen zu Ende. In diesem Augenblick teilte uns der Stab der Front telefonisch mit, daß wir in Kürze einen Befehl zu erwarten hätten.

Alle überlegten, worum es sich wohl handeln könne. Da schlug sich Gurow mit der Hand vor die Stirn. » Ich hab‘ s«, sagte er.» Das ist der Befehl zur großen Gegenoffensive!«

Wir gingen zur Funkstelle und warteten ungeduldig auf den lang ersehnten Befehl. Gegen 24.00 Uhr war es soweit. Buchstaben fügten sich zu Zeilen, und Zeile für Zeile zu den einzelnen Punkten des Befehls.

Ein Befehl der Front! Die Konturen des gesamten Vorhabens unseres Oberkommandos zeichneten sich ab. Der Befehl lautete: »Die Südwest- und die Donfront haben am Morgen des 19.November aus dem Raum Kletskaja-Ilowlinskaja in all­gemeiner Richtung Kalatsch zum Angriff überzugehen, die Stalingrader Front hat am 20. November aus ·dem Raum Raigorod-Sarpa-See- Zaza-See- Barmanzak-See in allge­meiner Richtung Siedlung Sowjetski und weiter auf Kalatsch anzugreifen. Aufgabe: die Front des Gegners durchbrechen, ihn einschließen und vernichten.«

Die Bedeutung der herannahenden Ereignisse war zunächst kaum zu fassen. Ging es im Befehl doch um eine Gegenoffensive, um die Einschließung und Vernichtung aller bei Stalingrad konzentrierten Kräfte des Gegners, also beileibe nicht um eine Operation mit lokaler Bedeutung, sondern um das Vorgehen dreier Fronten. Also war das Oberkommando imstande gewesen, gewaltige Kräfte zu sammeln und für einen Schlag zu konzentrieren. Unser Kampf um die Stadt, unser erbitterte Widerstand in Stalingrad erhielt damit endgültig seinen Sinn. Während der Gegner sich immer tiefer in Straßenkämpfe verwickelte, erwuchs an seinen Flanken eine tödliche Gefahr….“

Plan der Angriffsoperation

In Auswertung der Angriffsoperation schreibt Tschuikow, im Gegensatz zur heute vertretenen These, dass nur Hitler aufgrund seiner fehlenden Fachkenntnis an der Niederlage der Wehrmacht schuld sei:

“ Nach dem Krieg entbrannte ein theoretischer Streit, wie die Ereignisse, die mit der Einschließung der 6. Armee endeten, einzuschätzen seien. Bis heute stellen westliche Historiker und ehemalige Hitlergenerale lange und breite Überlegungen an, was geworden wäre, wenn Hitler Paulus Handlungsfreiheit gegeben und Paulus die Armee aus der Umklammerung herausgeführt hätte.

Es lohnte nicht, auf solche Spekulationen einzugehen, wenn dahinter nicht der Wunsch steckte, die militaristische Schule Preußens und sich selbst zu rehabilitieren, indem man Hitler und seinem Fanatismus die alleinige Verantwortung für die Niederlage zuschob.

Da wird behauptet, Hitler ganz allein habe sie unter Ausnutzung seiner diktatorischen Gewalt in die Donsteppe gelockt und zur Wolga geführt. Er sei nicht imstande gewesen, angesichts der kritischen Lage die richtige Entscheidung zu treffen, und habe alle vernünftigen Vorschläge zurückgewiesen.

Ich kann aber nicht recht daran glauben, daß Hitlers Generale in dieser Stunde vernünftige Vorschläge gemacht haben sollen.

Am vernünftigsten wäre es gewesen, den Krieg gegen die Sowjetunion gar nicht erst zu beginnen. Alles. was dann geschah, liegt im Unvernünftigen und Kriminellen, nicht nur gegenüber der Welt, sondern auch gegenüber dem eigenen Volk.

War es auf die Stalingrader Operation als Ganzes bezogen etwa vernünftig, seine Verbindungen auseinanderzuziehen, weit von den Hauptversorgungsbasen, Tausende Kilometer von Deutschland entfernt, einen Angriff auf den Kaukasus zu unternehmen und eine Stadt zu stürmen, die wir mit allen Kräften zu verteidigen entschlossen waren?

Oder war es für die Armee etwa sinnvoll, sich in Straßenkämpfe einzulassen, unter ungeheuren Verlusten immer wieder gegen die Stadt anzustürmen und dabei die Flanken zu schwächen?

Damals richtete Paulus noch keine alarmierenden Funksprüche an das Führerhauptquartier, obwohl die Verteidiger Stalingrads bereits im August, im September und in den blutigen Straßenkämpfen im Oktober den Grundstein für das Geschehen im November legten. Schon damals war die Wende in den Ereignissen vorauszusehen.

Die Gegenoffensive unserer Truppen an der Wolga war von allen Armeen der Stalingrader Richtung, vom ganzen Land, unter Führung der Kommunistischen Partei, vorbereitet worden. Doch wenden wir uns wieder den kritischen Tagen im November zu. Als die Gegenoffensive der Südwestfront und der Donfront begann, begriff man beim Gegner noch nicht, daß damit eine strategische Niederlage eingeleitet wurde.

Als die Stalingrader Front einen Tag später zum Angriff antrat und sich die Idee des sowjetischen Oberkommandos deutlich abzeichnete, die gesamte Stalingrader Gruppierung des Gegners einzuschließen, war dort weder von Einschließung noch von einer Katastrophe die Rede. Man glaubte immer noch nicht, daß wir gelernt hatten, den Gegner in großen Maßstäben in operativen Tiefen zu schlagen. Während sowjetische Panzer dabei waren, den Ring zügig zu schließen, hofften Paulus und das Oberkommando der Heeresgruppe B immer noch, sich aus eigener Kraft aus ihrer Lage befreien zu können.

Hitlers Befehl, eine Rundumverteidigung zu beziehen, lag noch nicht vor, deshalb führte Paulus zögernd seine Reserven in das Gefecht ein. Als er am 22. November die drohende Katastrophe beim Namen nannte, war es bereits zu spät, denn am nächsten Tag schloß sich der Ring.

Was war zu tun? Sollte Paulus seine Truppen aus Stalingrad zurückziehen, die Einschließung durchbrechen? In diesem Fall hätte er angesichts der Lage in der Stadt seine gesamte bewegliche Technik, alle schweren Waffen, seine gesamte Artillerie im Stich lassen müssen. Unser Feuernetz war so engmaschig, daß nur wenige die Ruinen der Stadt lebend hätten verlassen können.

Nun war ja nicht die gesamte Armee in Stalingrad selbst zusammengedrängt, zahlreiche Truppen standen in der Umgebung der Stadt. Man hätte sie an schmalem Frontabschnitt konzentrieren und am 23. oder 24. November einen Durchbruch versuchen können. Vorausgesetzt, er wäre gelungen, hätte man dennoch die Technik zurücklassen müssen, bevor offenes Gelände erreicht war, denn der Kraftstoff ging nach eigenen Aussagen zur Neige.

Die 6. Armee wäre bei Frost und Schneesturm den Schlägen unserer Truppen ausgesetzt gewesen. Napoleon verlor seine Armee auf der Flucht aus Moskau bis zur Beresina. Paulus hätte die seinige bedeutend früher in der Steppe verloren.

Doch Hitler befahl seinen Generalen, eine Rundumverteidigung zu beziehen und sich bis zum äußersten zu halten. Damit band er fünf unserer allgemeinen Armeen an seine 330000 Mann umfassenden eingeschlossenen Divisionen. Diese Armeen hätten in der operativen Tiefe unsere Offensive bedeutend verstärken können. Sie hätten es ermöglicht, einen Stoß gegen Rostow zu führen, die gesamte Heeresgruppe A im Kaukasus abzuschneiden und sie in einen ebenso tiefen Sack zu stecken wie Paulus‘ Armee.

Hitlers Befehl hielt die 6. Armee vom 23. November bis zum Februar in der Umklammerung fest. In der Steppe wäre sie in wenigen Tagen zerstreut, aufgerieben oder gefangengenommen worden. Für das Elend und die Leiden, die über die deutschen Soldaten in Stalingrad hereinbrachen, ist nicht Hitler allein, sondern sind auch seine Generale voll verantwortlich…“

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