1517, Martin Luther nagelt seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Stiftskirche

Hans Lorbeer, „Das Fegefeuer“, Halle/Saale 1956

1517

Der Schmiedegesell Thamm und der Bauer Balzer sind nach der Arbeit auf dem Heimweg:

„……Als sie aus dem Torgewölbe auf den Schloßplatz hinaustraten, huschte ein matter Sonnenstrahl über das holprige Pflaster. Gähnend riß der am Prellstein stehende Torknecht das Maul auf und blinzelte hinter dem die Fensterreihen der Propstei

hinflüchtenden Leuchten her. Thamm und Balzer bemerkten es nicht. Sie schritten im Schatten der Stiftskirche, um deren Turm der Wind fauchte, sich wütend auf den Platz hinabstürzte und die beiden jungen Männer erfaßte, daß sie sogleich ins Laufen kamen.

So wurden sie gleichsam vor die Tür der Kirche geweht. Dort stand ein Mönch mit Hammer und Nagel und mühte sich vergeblich, ein großes Plakat anzuschlagen. Ein Student versuchte zu helfen, doch war es auch mit seiner Geschicklichkeit nicht weit her. Beide führten einen schier aussichtslosen Kampf gegen den tückischen Wind, der in die Türnische hineinfuhr und den Männern das Plakat immer wieder aus den Händen zu reißen drohte.

Thamm nahm sofort den Werkzeugkasten von der Schulter und stellte ihn auf die Erde. Er griff einen handlichen Hammer heraus, denn er hatte mit einem Blick festgestellt, daß der des Mönchs ein am Stiel wackelndes Ungeheuer war. Mit schweren Schritten ging er auf die Tür zu. Da erst erkannte er den Doktor Luther.

Er steckte den Hammer in den Schürzenlatz und rief: »Ho, ho, haltet fest!« – wie einer, der im letzten Augenblick zu retten naht. Mit beiden Händen fuhr er auf das Plakat zu und drückte es mit an die Tür. Inzwischen war nun auch Balzer hinzugekommen und drängte sich gleichfalls vor das gebändigte Papier, so daß der Wind kaum noch einen Angriffspunkt finden konnte. – Vier Männer schon schützten die Thesen …

»Es wird so nicht halten«, sagte Thamm, »laßt uns den Rand umschlagen, da haben wir‘ s doppelt und das Papier reißt nicht so leicht aus den Nägeln.«

Dies leuchtete Luther, der den Gesellen nun wieder als ein gutes Zeichen Gottes nahm, sogleich auch ein; er begann, mit ihm das Plakat an den Rändern zu falzen. Dadurch wurde es zwar etwas kleiner, aber es saß fester auf dem Holz. Nun konnte man nageln. Als Luther jedoch wieder mit dem wackeligen Hammer herumfuhr, schob ihn Thamm beiseite und zeigte den seinen, schlankeren, flinkeren.

»Gebt einen Nagel her«, rief er. Und Luther gab ihm einen, unwillig; wie es schien, und doch auch wieder einsichtig genug, daß es hier ja nicht aufs Genagelte, sondern aufs Geschriebene ankam.

Thamm trieb den ersten Nagel mit zwei, drei Schlägen in das Holz. Dann sah er sich nach dem zweiten um. Und während Mönch, Schüler und Bauer das Plakat hielten, schlug der Kleinschmiedegesell die Nägel ein, bis auf den letzten, den er dem Mönch mitsamt seinem Hammer überließ. Und Luther setzte keinen schlechten eisernen Schlußpunkt. So saßen die Thesen nun wirklich straff und fest auf .dem eichenen Holz der Tür. Vergeblich versuchte der Wind, dahinterzufahren, sie abzureißen und hinwegzufegen; sie behaupteten sich. Und da war es, als gäbe er es auf; während der Staub auf dem Platze noch zu Wirbeln aufstieg, wehten den Männern in der Türnische kaum noch die Haare.

Luther nickte Thamm freundlich zu. »]a, Gesell«, sagte er, »so wie mir, hilf auch der Barbara. Nagel das Unrecht fest, wo du’s erwischst.«……“

Luther wandte sich damals vor allem wider dem Ablasshandel, der vorwiegend vom Mönch Johann Tetzel im Auftrag der römischen Kirche betrieben wurde. Hierbei konnte der „Sünder“ sich von all seinen „Sünden“ freikaufen. Der Delinquent bekam einen Zettel (Ablassbrief) und die Kirche bekam das Geld.

Aus heutiger Sicht war Tetzel ein armseliger Stümper. Die moderne Sünde heißt CO2 und der Ablassbrief heißt Zertifikat. Wahrscheinlich irgendein Zettel mit einem Stempel drauf. Per Gesetz werden alle Bürger zu Sündern erklärt. Eine Bewerbung des „Produktes“ Ablassbrief ist dadurch gar nicht mehr erforderlich.

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